Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten

Scheiß Klischee. Aber mal Butter bei die Fische: Ist es nicht doch am Ende irgendwie immer so, dass es erst bis zum Zerbersten schmerzen muss, bevor wir unseren Arsch bewegen?

Da rennt man sehenden Auges ins Verderben. Beziehungen, Projekte, Jobs, name it.

Da setzt man sich wieder einer dieser Situationen aus, von denen völlig klar ist, dass das Mumpitz ist.

Ach komm, nur noch einmal. Diesmal wird es anders laufen, ganz bestimmt.

Und das Leben so: „Äh, nö.“

Ich bin ja selbst von der Sorte: Hab ich mir jetzt aber in den Kopf gesetzt und wenn es nicht klappt, dann check ich das nochmal und nochmal und nochmal und… - einfach nur um sicherzugehen, dass es wirklich ne doofe Idee ist. Macht man ja in der Wissenschaft auch so. Experimente unter gleichen Bedingungen wiederholen, um herauszufinden, ob sie auch wieder das gleiche Ergebnis liefern. Absolut gerechtfertigtes Vorgehen also. Geht auch umgekehrt, heißt dann Falsifikation und bedeutet, dass ich mir gleichermaßen wunderbar beweisen kann, dass ich etwas auf gar keinen Fall gut kann. Ok, man könnte auch von Selbstsabotage reden, das passt jetzt aber nicht so gut in mein intellektuell erscheinendes Beispiel.

So oder so:

Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem es anfängt zu nerven.

Phase 1. Irgendwie schwarnt einem da, dass der beschrittene Weg ein holziger sein könnte. Das muss aber ja noch lange nicht der Punkt sein, an dem man auch irgendetwas einsieht, geschweige denn, die Richtung ändert. Nein, nein.

Jetzt kommt Phase 2: das unverblümte Aufgehen in Frust und Leid und Schmerz. Was ist das für ein Scheiß! Das habe ich mir so schön ausgemalt, das steht doch so auf dem Vision Board an meiner Wand und jetzt will sich das ums Verrecken nicht ausgehen. Hätte ich mir ja gleich denken können, oder?

Beste Freundin von Phase 2 ist: Das Ergründen, wer oder was jetzt daran schuld ist, dass das nicht klappen will. Und da sind der Phantasie nun wirklich keine Grenzen gesetzt. Es gibt so viele Menschen und Situationen im Zusammenhang mit dem Kack-Thema, das sich weigert, sich anständig ins Leben zu manifestieren. So als phantasiebegabtes Wesen Mensch hat das so richtig Rohrspatzpotenzial. Und wenn einem dann doch mal die anderen Menschen oder Situationen ausgehen, dann bleibt ja immer noch man selbst. Selbst schuld, biste halt nicht gut genug oder hast das mit der Selbstliebe einfach noch nicht zur Genüge drauf. Zu dumm, zu schlau, zu dick, zu dünn. Da findet sich bestimmt was.

Überall gute Gründe, um weiter im Jammertal zu waten.

Da ist es matschig und diesig und ungemütlich. Egal! Wir sind hier noch nicht fertig! Wie wäre es mit einer Prise Wut? Das macht die Sache gleich noch bisschen pikanter und schürt ordentlich Feuer. Scheiß auf den Hoffnungsschweif am Himmel, lass anzünden das ganze Ding. Alle doof! Wenn die Welt anders wäre, die Leute nicht so bescheuert, dann müsste man selbst auch nicht so fürchterlich leiden. Ist doch so!

Wenn ich das so schreibe, muss ich schmunzeln. Wie oft war ich an diesen Orten. Hass auf die Welt, Hass auf mich selbst, Totalausfall. Ich kann da sehr konsequent sein und verfüge schon von meiner Grundkonstitution her über sensationell viel Ausdauer a.k.a. einen ganz schönen Dickschädel.

Und dann hockt man da.

Ausnahmslos alles ist nur noch doof. Und man selbst ist vor allem eins: arm dran. Ungerecht behandelt, benachteiligt, unverstanden und vom Leben verarscht. Hockt da mit der Wut und dem Frust und ist zutiefst traurig und ratlos, hilflos bis zur Unbeweglichkeit.

Aus der Euphorie und der Hoffnung, geboren aus einer bunten Idee, wird zähgraue Düsternis – von der man zu Beginn der Reise keine Ahnung hatte, wie verdammt düster die sein kann. Da kann man sich so wunderbar reindrehen. Und manchmal dreht man sich wieder raus. Ein letztes Aufbäumen. Aus Trotz vielleicht. Denen zeig ichs! Allen zeig ichs! Letzer Versuch jetzt. Das ist wirklich das letzte Mal. Versprochen!

Statt es einfach mal zu lassen.

Also bevor einem die Kräfte und die Nerven völlig entschwinden. Bevor es einfach nicht mehr geht. Weil nix mehr geht. Ausgebrannt. Lang genug gezündelt und abgefackelt.

Aber es wird halt auch nicht Tag, bevor es Nacht war. Es wird nicht Frühling und die Blüten und die Blätter sprießen neu, bevor nicht Herbst war und der Baum alles abgeworfen hat und eine Weile nackig in der Kälte stand.

Ist halt so.

Also statt sich jetzt hinzustellen und sich in der potenziellen Phase 3: Selbstvorwürfe zu ergehen, habe ich einen Vorschlag.

Es ist zappenduster.

Der Zug ist abgefahren, die Situation – welche auch immer, in die man sich da jetzt manövriert hat – ist nicht mehr zu beschönigen. Auch nicht mit Blumendeko, Glitzer und feinsten Düften. Es stinkt zum Himmel. Du hast alles gegeben und vieles versucht. Und es will einfach nicht klappen. Und keiner ist daran schuld. Du nicht und auch sonst niemand.

Ist jetzt so.

Nimm das mal hin. Nimm mal deinen ganzen Weg hin. Mit all den Vorwürfen und Selbstvorwürfen. Mit all den geplatzten Seifenblasen, all den Narben, all den Wunden. Nimm mal das ganze Leben hin. Mit dem ganzen düsteren Kackscheiß.

Ja, kann das denn so einfach sein?

Ja, kann es.

Nein, kann es nicht.

Doch. Nein. Doch. Nein. Doch. Nein.

Und schon fängt die Deppenschleife wieder von vorne an. Das musst du doch zu Ende denken. Kannste doch nicht einfach so alles im Raum stehen lassen. Schon gar nicht im stockfinsteren. Am Ende stößt du dir den kleinen Fußzeh an irgendwas, das da im Dunkeln blöd rumsteht.

Sollst ja auch nirgends hinlaufen! Und schon gar nicht schnell! Zefix.

Aber das ist sowas von unangenehm, das alles einfach so sein zu lassen. Dagegen muss ich doch was tun? Da gibt es bestimmt eine Lösung für. Mach das verdammte Licht an! Vielleicht musst du es nur noch mal so richtig versuchen? Nur noch dieses eine Mal. Wirklich. Versprochen.

Gääääääähn, merkste selber.

Nein! Musst du nicht. Lass das! Finger weg! Das ist genau die Unrast, die dich immer wieder in genau die Situationen bringt, die dich in Summe hierher gebracht haben. Schluss jetzt :-D

Ist jetzt unangenehm. Warte ab. Komm schon. Kostet auch nix. Lass das da sein. Warte noch bisschen länger ab. Tu einfach gar nix damit. Denk es nicht weiter. Steig nicht drauf ein. Versuche auf keinen Fall, es zu verändern. Bitte. Nur dieses eine Mal!

Sitze mitten in der tiefsten Nacht.

Und warte auf den Sonnenaufgang. Warte.

Und wenn man da so hockt und wartet, können einem Sekunden wie Wochen vorkommen. Warte weiter. Und schau dir derweil die Nacht an. Schau. Schau hinein in die Dunkelheit. Wirst schon sehen, wenn sich deine Augen erst an die Dunkelheit gewöhnt haben, wie schön die Sterne da Funkeln. Wie sich das Dunkel des Baums vom Dunkel der Nacht abhebt. Wirst schon hören, wie es raschelt in der Stille, wie der Wind weht. Wirst schon merken, wie sie sich wieder aufbäumen wollen, die ganzen Unrasties, die diese Ruhe auf keinen Fall aushalten wollen. Da musst du doch was machen jetzt! Sach mal.

Sach mal „Nö. Passt schon.“

Und check das Lächeln, dass sich da auf deinem Gesicht breit macht, während du im Auge des Sturms hockst und chillst. Kannst morgen wieder rumwirbeln. Wenn du dann noch Bock drauf hast. Oder du lässt es halt noch ein bisschen länger sein. Und schaust der Sonne beim Aufgehen zu. Schaust, wie der Tag seinen Lauf nimmt. Und schaust, wie er an seinem Ende wieder in die Dunkelheit fließt. Wie die Sterne funkeln und der Mond scheint. Und so weiter und so fort.

Ich glaube, Menschen haben ein sensationelles Talent, Situationen, die ihnen nicht gut tun, bis zum Exzess auszukosten, im Jammertal zu waten und im Schmerzgebirge dann endgültig in die Knie zu gehen. Menschen verfügen über so viel Ausdauer, so viel Kraft und so viel Mut. Sie sind fähig zu so viel Großherzigkeit und Zuversicht, einer Sache, die irgendwie schon lange nicht mehr so wirklich nach beflügelnd, geborgen oder inspirierend duftet, noch eine Chance zu geben. Und noch eine. Und noch eine…

Weil, da hat man ja jetzt schon so derartig viel reininvestiert. Kann man sich da überhaupt noch eingestehen, dass man in einer Sackgasse vor einer Betonwand steht? Malt man die lieber an – malerische Landschaft auf Beton-Brutalismus.

Kann man da einfach all die Energie und die Vorstellungen, die man reingesteckt hat, zurücklassen. Aufgeben. Sich einfach umdrehen und sagen: „Ey fuck it!“ Ohne, dass es sich anfühlt wie Scheitern. Ohne dass es einen faden Beigeschmack von Versagen hinterlässt?

Ich glaube, jeder Mensch hat so seinen eigenen Schmerzpunkt, an dem es ihm oder ihr oder they einfach reicht. Faxen dicke. Auch die eigenen.

Ich glaube, dass wir über Scheitern reden sollten. Und über Versagen.

Damit wir merken, dass es niemanden zu einem schlechten Menschen macht, etwas zu verkacken. Dass es ok ist, von was geträumt zu haben und jetzt nicht mehr dran zu glauben.

Weil wir dann lernen können, dass es ok ist, nicht weiter blindlings durchzuziehen, obwohl es schon lange nicht mehr passt. Wir sollten schon deswegen miteinander reden, weil uns dann auffallen würde, dass wir nicht allein sind. Du bist nicht der einzige glorreiche Mensch auf der Welt, der mit Pauken und Trompeten das Ding an die Wand gefahren hat. Du bist nicht der erste Mensch auf diesem Planeten, der auf blauen Knien daherkommt, durstig und müde. Wir sollten reden über das ganze Zeug, mit dem wir es uns so derartig schwer machen, die Richtung zu wechseln.

Ist halt Nacht einfach. Ist zappenduster jetzt.

Lass mal sehen, was ein neuer Tag so bringt. Lass halt mal ausprobieren, ob es nicht auch ohne das Knebeln und Fesseln an althergebrachte Vorstellungen und Konzepte geht. Lass überhaupt mal sehen, was da noch geht in dem Leben.

Und da geht so einiges.

Und das ganz ohne Vorwürfe. Und ohne Selbstvorwürfe. Dafür mit der absoluten Gewissheit, dass „wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten“. Alles kommt. Alles bleibt eine Weile. Alles geht. Und so weiter und so fort.

Wofür also der ewige Fuzz und das in Stein gemeißle? Wenn du merkst, dass du ein totes Pony reitest, steig ab. Such dir ein neues. Oder reite auf einer Schnecke.

Auf mehr spinnerte Ideen! Darauf, alles mögliche an irrwitzigen Dingen auszuprobieren! Aufs Scheitern! Aufs Versagen! Auf das Jammern, den Schmerz und die Aussichtslosigkeit! Und auf die nächsten spinnerten Ideen. Die sind dann vielleicht nicht besser. Aber anders. Versuch und Irrtum ist auch eine völlig legitime Methode, an Erkenntnisse zu kommen.

Menschen verfügen über so viel Ausdauer, so viel Kraft und so viel Mut. Sie sind fähig zu so viel Großherzigkeit und Zuversicht, ...

Komm, erzähl mir von deinem Scheitern und deinen spinnerten Ideen! Ich steh auf die tiefen Nächte. Lass uns durchmachen bis zum Sonnenaufgang.

Liebe ohne Ende

Barbara


Hi! Ich bin Barbara, systemische Coachin und philosophische Praktikerin, und ich begleite Menschen durch Krisen, Zweifel, Träume und verrückte Ideen – systemisch.

Melde dich gerne und wir vereinbaren einen Termin.



Picture Credits to Lomrjyo, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons

Barbara Sennert
Krafttier Faultier. Zaunreiterin. Reichlich Abenteuerlustig.

Meine Lieblingsfragen im Leben waren schon immer „Wer bin ich?“ und „Was tu’ ich hier?“.

Mein erster Blog titelte “Her mit dem schönen Leben!”.

Mit mir lässt sich gut tanzen und bis zum Morgengrauen durchquasseln über Gott und die Welt. Mit mir lässt sich auch gut wüten und zürnen. Ich mag Tacheles - offen, ehrlich und gerade heraus. Auf jeden Fall ist mit mir gut ankommen. Nicht erst, wenn... dann… Sondern jetzt gleich hier!

https://www.bq-sennert.de/barbara-sennert
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Mindset - ein Konzept