...von hingekotzten Lösungen, vom gesellschaftlichem Lösungszwang, und dem radikalen Akt, dein Problem einfach eine Weile zu behalten...
Was, wenn du jedes gute Recht hättest, ein Problem deiner Wahl zu haben und es auch zu behalten?
Und das, ohne dich mit schnellen und oberflächlichen scheinbaren Lösungen abspeisen zu lassen.
Wir leben in einer Kultur, die keine Probleme duldet. Nicht mal fünf Minuten.
Problem erkannt? Hier ist die Lösung. In drei einfachen Schritten. In 7 Tagen. Im nächsten Workshop.
Du bist traurig? Lies dieses Buch.
Du bist unzufrieden? Mach diese Übung.
Du fühlst dich verloren? Hier ist ein 12-Wochen-Programm für nur 25.000€ nur heute im "early bird" (danach wird es täglich teurer - also sei schnell!).
Als wären Probleme Fehler im System, die sofort behoben werden müssen. Als wäre es verboten, einfach mal mit etwas zu sein, das sich schwierig anfühlt, einem emotionalen Fehler in der Matrix, einem zauberhaften "whatthefuck!?".
Aber es geht halt gerne um schnelle Lösungen.
Kennst du das?
Du erzählst jemandem von einem Problem. Und bevor du den Satz zu Ende gesprochen hast, kommt schon DIE Lösung.
Ungefragt.
Unreflektiert.
Unnuwasjetzt.
"Hast du schon mal versucht, positiver zu denken?"
"Du solltest einfach loslassen."
"Meditation. Das ist die Lösung."
🤢
Was, wenn ich mich, von Zeit zu Zeit, einfach mal mitteilen möchte - so ganz ohne Handlungsauftrag? Einfach weil, wenn ich es mal ausspreche, sich die Worte ganz anders anfühlen, als wenn ich sie "nur" denke.
Was, wenn ich mich dann einfach mal neben mein Problem setze, "Hallo" sage und wir dann gemeinsam in den Garten glotzen und wenn ich dann ja Bock haben sollte, wir uns etwas unterhalten. Über das Leben, das Universum und den ganzen Rest.
Was, wenns ne Teeparty wird und der Teddy und der Gartenstuhl auch ne ganz eigene Sicht auf die Situation haben und die bereitwillig gerne mit uns teilen - so ganz ohne Zielsetzung.
In der systemischen Begleitung nennen wir das Perspektivwechsel und ist nahe an der Aufstellung.
Schnelle Lösungen. Sie kosten den anderen nichts. Keine Zeit. Kein Nachdenken. Keine echte Auseinandersetzung.
Aber sie kosten dich etwas: Das Gefühl, gesehen zu werden. Verstanden zu werden. Dich mit deinem gerade eben nun einmal für ernsten Problem, ernst genommen zu fühlen. Ohne die Abfrage, ob das jetzt tatsächlich logisch und/oder nachvollziehbar ist.
Hier ist der radikale Gedanke:
Manche Probleme dürfen bleiben.
Nicht weil du zu faul bist, sie zu lösen.
Nicht weil du nicht willst.
Nicht weil du schwach bist.
Sondern weil manche Probleme Teil von etwas Größerem sind. Teil eines Prozesses. Teil deiner Geschichte.
Trauer braucht Zeit. Nicht eine Lösung.
Veränderung braucht Raum. Nicht eine Anleitung.
Komplexität braucht Geduld. Nicht eine schnelle Antwort.
Du hast jedes Recht, mit deinem Problem zu sein. Es zu fühlen. Es zu durchleben. Es zu behalten, solange es da sein muss und solange du willst - unabhängig davon, was irgendwer anderes darüber denkt.
Denn das, was jemand anderes darüber denkt hat - in the first place - nur etwas mit diesem Menschen zutun, nicht aber zwingend mit dir.
"Ja, wassn dann jetzt? Akzeptanz oder Lösung?"
Akzeptanz bedeutet nicht Resignation.
Akzeptanz bedeutet: "Das ist gerade, wie es ist. Und ich muss es nicht sofort ändern, um okay zu sein."
Thats fckn it.
Mehr kommt da nicht mehr.
Das ist radikal kraftvoller als jede oberflächliche Lösung.
Weil Akzeptanz Raum schafft. Raum zum Atmen. Raum zum Verstehen. Raum für echte Veränderung, wenn sie kommt/kommen will.
Schnelle Lösungen schaffen Druck. Den Druck, dass etwas mit dir nicht stimmt, wenn du nicht sofort "repariert" bist, wenns "wieder nicht klappt" obwohl du doch alle genau so gemacht hast, wie es in den Ratgeber/Vortrag/Workshop/Retreat...blablubb... gesagt wurde.
Und dann fühlst du dich schlecht, weil die Lösung nicht funktioniert. Nicht, weil die Lösung schlecht war. Sondern weil das Problem vielleicht gar keine Lösung wollte.
Dann bist es wieder du, der/die es "mal wieder" nicht richtig gemacht hat - echt jetzt!?
Und "schwupp" und "huch" und "schau", schon hasten ganz neues Problem. Ist das nicht auch hübsch? Und es steht dir halt auch so gut! Du kannst halt echt auch alles (er)tragen. Gibt ja so Leute 🙃
Lass uns kurz was klar stellen:
Wenn dich ein Problem richtig schmerzt, wenn du das Gefühl hast, nicht mehr weiterzukommen, wenn du dich nur im Kreis drehst und das dringende Gefühl hast, dir helfen zu lassen - dann machst du das natürlich.
Du musst hier nichts "aushalten", was dich leiden lässt, um dir oder jemandem etwas zu beweisen.
Hier geht es einzig und allein um den ungesunden gesellschaftlichen Reflex, alles sofort zu bereinigen, zu glätten und zu lösen. Auch wenn es noch gar nicht dran ist. Auch wenn du noch gar nicht bereit bist. Auch wenn das Problem vielleicht gerade genau richtig ist, wie es ist.
Willkommen zum systemischen Mindfuck
Dein System will, dass du Probleme schnell löst. Einfach weil dein Hirn und das Hirn aller anderen um dich herum evolutionär darauf ausgelegt ist. Und weil produktive Menschen keine Probleme haben. Weil optimierte Menschen funktionieren.
Aber du bist halt keine scheiß Maschine.
Fckn crazy, oder? Probleme sind keine Bugs. Und Leben ist kein Code, den man debuggt. Vielleicht ist es einfach genau das, was wir "Leben" nennen. Wie verrückt wäre das?
Der Mindfuck ist: Die Welt da draußen und in dir drinnen verkauft dir Lösungen für Probleme, die ganz manchmal oft vielleicht gar keine sind. Oder für Probleme, die gar keine schnelle Lösung brauchen. Oder für Probleme, die du ohne die, die dir eine Lösung verkaufen wollen, gar nicht hättest.
"Oh, wow - das ist mein Problem? Echt? Vegane Wurst die mich verwirrt im Supermarkt zurück lässt und ich, der Verzweiflung nahe, die Arme voller undefinierbaren Wurstwaren, den Ausgang nicht finde? Krass. Das war mir gar nicht bewusst. Danke, dass ihr das für mich jetzt auf EU Ebene löst!".
Und was machen wir jetzt damit?
Wenn jemand das nächste Mal mit einer schnellen Lösung um die Ecke kommt:
"Danke. Aber ich brauche gerade keine Lösung. Ich brauche nur, dass du zuhörst."
Wenn dein System dir einredet, du müsstest sofort funktionieren:
"Nein. Ich darf sein, wie ich bin. Auch mit diesem Problem."
Wenn du selbst denkst, du müsstest schneller 'besser' werden:
"Akzeptanz ist kraftvoller als jede hingekotzte Lösung."
Ein letzter Gedanke
Du darfst Probleme haben. Du darfst sie behalten. Du darfst dir Zeit lassen.
Das macht dich nicht schwach. Das macht dich nicht kaputt. Das macht dich nicht falsch.
Das macht dich menschlich.
be a rebel - hab mehr Teepartys mit deinen Problemen
gratitude,
Heiko