Ich bin meiner Mutter wilde Tochter

Ich habe einen Artikel geschriebenen, den will ich gar nicht veröffentlichen. Wenn ich ihn lese, dann lese ich von Wut, von blankem Hohn. Ich bin so zornig. „Ich bin Jacks brodelnder Groll.“ (Fight Club) Und der muss ja auch irgendwohin. Erlösung durch Fluchen ist ein absolut vertretbares Instrument – auch und vor allem für Frieden.

Also noch mal von vorn:

Ich kann nicht glauben, was da für ein scheiß Film abläuft! Und ich rede beileibe nicht nur von Deutschland, aber auch. Würde ich eine Postkarte schreiben, dann stünde auf ihr:

„Grüße aus Absurdistan.

Das Wetter ist unbeständig. Das Essen ist fad. Und was ich sehe, gefällt mir nicht. Ich freue mich auf zu Hause. Alles Liebe, Barbara“

Kennst du das, wenn sich die Welt zu klein anfühlt. Dieses Gefühl von „da stimmt irgendwas nicht“. Mein Geist kann sich Welten von Freiheit und Frieden und freudiger Vergnügtheit ausmalen in den herrlichsten Farben und Düften und Tönen. Utopia von nebenan. Aufgeklärt, gemeinschaftlich. Und dann prallt das Ding auf 1984.

Da ist eine Enge, kein Entrinnen. Da höre ich Politiker Tiraden von sich geben, die unmöglich ernst gemeint sein können. Ich bin mir dann manchmal noch unsicher, sprechen sie in Dummheit oder in Gier? Oder ist es ein lustiges Gemisch aus beidem mit einem Schäumchen egomanen Irrsinns?

Es ist so verdammt eng. So kleingeistig. So absonderlich absurd. Das ist alles so weit weg von meiner Welt, von dem, woran ich glaube, meinem zu Hause. So weit weg von all dem, was wirklich wichtig und von Bedeutung wäre.

So weit weg von ehrlichen Zahlen steht es da herum in keinem Verhältnis.

In Absurdistan, da müssen wir den Gürtel enger schnallen und härter ranklotzen. Da werden Frauen diskriminiert und instrumentalisiert und Menschen, die ihre Heimat und Familien haben zurücklassen müssen in der Hoffnung auf Leben. Nnur um abzulenken von einem in die Jahre gekommenen patriarchalen Prachtbau, der längst schon die innige Berührung einer Abrissbirne verdient hätte.

Man erzählt polemischen Bullshit und hofft, es fällt nicht auf. Hofft, die Menschen sind so derart verhaftet in ihrem Alltag, mit ihren Sorgen und Nöten, dass sie dumpf mitgrölen oder resignieren.

Und wenn das nicht reicht, es gibt ja dem goldenen Kalbe sei Dank noch Konsum. Gibt ja noch Werbung. „Durch die Werbung sind wir heiß auf Klamotten und Autos, machen Jobs, die wir hassen, kaufen dann Scheiße, die wir nicht brauchen.“ (nochmal Fight Club)

Auf jeden Fall muss man die Gemüter beschäftigt halten, sonst kommen die Leute noch auf gute Ideen.

Ideen von Frieden, Ideen über Bildung, Ideen von Gleichwertigkeit und von Würde.

Ja, wo kämen wir denn da hin?

Nach Utopia vielleicht. Wer weiß. Aber auf jeden Fall raus aus dieser Kotz-Ächz-Aufreger-Hetze-Schleife. Ich mag dem so gern einfach den Stecker ziehen. Die Aufmerksamkeit entziehen. Ich mag da nicht mitmachen. Aber nicht im Sinne von: Ich wandere aus oder geh in einer Hütte im Wald leben und ignoriere die Idiotie geflissentlich. Nein. Ich kann das alles sehen und sagen: Ja, find ich scheiße und nö, das geht auch anders. Ich kann das denken. Und wenn ich mir das vorstellen kann, dann ist das auch möglich. Und möglicherweise bin ich damit ja gar nicht allein.

Manchmal erinnere ich mich daran, warum ich einst BWL studiert habe. „Kenne deinen Feind“, hab ich mir gedacht damals in meinem jugendlichen Leichtsinn, „dann kannste auch was ändern.“ Verstanden habe ich, wie es funktioniert und welchen Zwecken es dient. Es folgt einer einfachen Logik und es ist im Prinzip auch ganz leicht zu durchschauen. Es baut auf die Natur eines Menschen, der sich gern unterhalten lässt, der gerne Wohlstand und Privilegien genießt, der sich gern misst und danach strebt, mit möglichst wenig Anstrengung möglichst viel zu erreichen. Und es profitiert von Menschen, die nicht hinterfragen, die lieber motzen statt sinnieren, lieber jammern als zu trösten.

Es brauchte noch ein paar Jahre, bis meine Erfahrung endlich das bestätigte, was mein Opa mir schon als kleines Mädchen am Esstisch erklärt hatte.

Nämlich, dass es „den Feind“ und „das System“ nicht gibt.

Mein Opa war lange nach dem Krieg noch in Russland in Gefangenschaft. Und trotzdem träumte er zeit seines Lebens davon, nochmal in dieses Land zurückzugehen. Als ich ihn fragte, wie es denn sein kann, dass er zu den Russen reisen wollte, wo er dort doch so viele Schrecken erlebt hat, sagte er: „Den Russen gibt es nicht, Barbara. Das sind alles Menschen, so wie du und ich. Und das Land kann nichts dafür.“

Alle diese vereinfachten, in Kategorien zusammengefassten Worthülsen sind Konstrukte, die in Summe aus jedem einzelnen von uns bestehen. Weiter noch: Die sich aus jedem einzelnen von uns zusammensetzen, die aus uns allen entstehen, die wir co-kreierenJeder einzelne zählt.. Auf jeden Menschen kommt es an. Jede einzelne zählt. Und das Land ist wunderschön. Es braucht eine kritische Masse. So wie beim 100sten Affen. Und dann machen wir Zeitgeist.

Dafür müssen wir aber aussteigen. Nicht nach Timbuktu. Nein, hier und jetzt. Mach mal.

Versteh mal, dass das, was uns erzählt wird, einer Logik folgt. Und dann frag dich, ob das die Logik ist, der du folgen willst.

Jede einzelne von uns ist gefragt.

Spielen wir da rein, spielen wir da mit oder spielen wir was anderes.

„Du bist nicht dein Job! Du bist nicht das Geld auf deinem Konto! Nicht das Auto, das du fährst! Nicht der Inhalt deiner Brieftasche! Und nicht deine blöde Cargo-Hose! Du bist der singende, tanzende Abschaum der Welt.“ (immer noch Fight Club)

Wir haben nur so viel Aufmerksamkeit zur Verfügung. Wir dürfen gut achtgeben auf sie. Kaum etwas ist in Tagen wie diesen mehr wert als Aufmerksamkeit. Mit ihr wird Stimmung gemacht. Sie entscheidet am Ende über Krieg oder Frieden. Wir stecken mit unseren Nasen so derart tief in unseren Smartphones, in Content über Content. Informationsflut bis zur Überdosis, scrollend sabbernd, eingekauft. Unreflektiert.

Wir müssen aussteigen.

Und damit meine ich: selber denken. Die Privilegien eines Staates, in dessen Grundgesetz Menschenwürde an erster Stelle steht und Gedanken immer noch frei sind, nutzen. Gesunden Menschenverstand kultivieren. Hinterfragen! Phantasie bemühen, tanzen und bunte Bilder malen. Ich darf mich hier äußern und ausleben, kann hier fluchen und wüten und dann mal tief durchatmen.

Lieber scheiße tanzen, als dumm rumstehen.

Nur nicht einlullen lassen. Und weiter und weiter hinterfragen: Wo spiele ich da rein? Wo spiele ich da mit? Und wie geht ein Spiel, das bereichert, das Freude vermehrt, das Gemeinschaft stärkt, das die Welt rettet?

Hallo, ich bin Barbara und ich bin vom freundlichen Widerstand.

Freundlicher Widerstand. Das wäre mal was Neues. Einfach durch die Welt laufen und nett sein. Weil mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit ein jeder gerade irgendeinen Scheiß durchmacht. Wer unter euch ohne Sorge ist, der würge noch eins rein. Gleiches mit Gleichem vergelten macht nur mehr vom Gleichen.

Einfach mal sagen: „Ach komm, geh fort, das kann unmöglich dein Ernst sein!“, nicht auf die Hetze hören und sich erinnern, dass wir alle eine Menschheit sind auf einem Planeten, den wir teilen mit Tieren und Pflanzen. Einfach mal dran erinnern, dass wir alle die gleiche Luft atmen.

Und wenn eine hetzen will, von mir aus. Nicht mitmachen. Einfach nicht in die gleiche Kerbe schlagen. Lieber „Nö“ sagen. Lächelnd.

Und stattdessen die Liga für unbezahlte Arbeit unterstützen zum Beispiel. Good News lesen oder „Empört euch!“ oder „Die Großzügigkeit der Felsenbirne“.

In Hass und Hohn liegt die Lösung nicht.

Aber auch mich erwischt es immer wieder, wenn mich die Absurdität mancher Aussagen einfach total fassungslos zurücklässt und was nicht noch alles, womit man heutzutage alles ungestraft davon kommt. Alles unter dem gleichen Dach von freier Marktwirtschaft und wird-man-ja-mal-noch-sagen-dürfen-Meinungsfreiheit.

Vielleicht können wir uns gegenseitig daran erinnern, dass es nicht nur selbstverliebte Arschlöcher mit überdimensioniertem Eigeninteresse auf der Welt gibt. Sondern auch uns. Menschen, die gute Ideen haben. Menschen, die Gedanken hegen zum Wohl der Welt und all ihren Bewohnern. Menschen, die gerne anderen eine Freude machen. Menschen, die an die Schönheit der Welt erinnern und gerne ein Lächeln schenken. Teilen wir das.

Auf Reisen habe ich gelernt:

„Ein Lächeln geht einen weiten Weg.“

Es öffnet Herzen und es ist ansteckend.

Wir hocken alle in derselben Truman Show, mit Terminator Arm in Arm auf dem Weg zu Mad Max.

Wenn nicht wir zusammenhalten, wenn nicht wir uns erinnern, kein anderer macht`s. Jede einzelne zählt. Es ist wichtig, sich mal Luft zu machen. Was wir uns wahrlich nicht mehr' leisten können, das ist Spaltung. Also folgen wir dem Rat von Volt auf ihren Wahlplakaten für die letze Europawahl, auf denen stand: "Sei kein Arschloch."

Jeder einzelne zählt. Du, dein Lächeln, deine kleinen Aufmerksamkeiten, die du hegst und pflegst und auf die Dinge richtest, die deinen Frieden vergrößern, dich an die Schönheit erinnern und dir ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Und dann geh raus und teil das!

Liebe ohne Ende,

Barbara

Barbara Sennert
Krafttier Faultier. Zaunreiterin. Reichlich Abenteuerlustig.

Meine Lieblingsfragen im Leben waren schon immer „Wer bin ich?“ und „Was tu’ ich hier?“.

Mein erster Blog titelte “Her mit dem schönen Leben!”.

Mit mir lässt sich gut tanzen und bis zum Morgengrauen durchquasseln über Gott und die Welt. Mit mir lässt sich auch gut wüten und zürnen. Ich mag Tacheles - offen, ehrlich und gerade heraus. Auf jeden Fall ist mit mir gut ankommen. Nicht erst, wenn... dann… Sondern jetzt gleich hier!

https://www.bq-sennert.de/barbara-sennert
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...von Buzzwords die dich fangen, von Schmerz der zum Geschäftsmodell wird, und der Frage, wie teuer du dich einfangen lassen willst..

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...von hingekotzten Lösungen, vom gesellschaftlichem Lösungszwang, und dem radikalen Akt, dein Problem einfach eine Weile zu behalten...