Erwartungshaltung ist ein Arschloch
Das Ding hier fällt in die Kategorie Lieblingssatz.
Kurz, knackig und sowas von wahr: Erwartungshaltung ist ein Arschloch.
Ich lehne mich jetzt mal gediegen aus dem Fenster und behaupte: Alle unsere Probleme rühren daher, dass irgendwas anders läuft als erwartet.
Das reicht von Kontostand bis Müll rausbringen, von Regenwetter bis Klamotten, die überall rumliegen und sich nur in einem Idealfall auf der Badewanne stapeln, der keiner ist.
Aber woher kommen diese großartigen Erwartungen?
Die Gute Nachricht: Du hast eine super Vorstellungskraft. Du bist kreativ und hast Ideen. Wie schön die Bude doch aussehen könnte, würde da nicht alle Nas` lang irgendwas rumliegen. Wie schön das Wochenende doch wäre ohne das Scheißwetter und was man da nicht alles unternehmen könnte. Wie easy-peasy Leben wäre, wenn aufs Konto ein paar Tausender mehr im Monat kommen würden. Wie toll deine Partnerperson so mitdenkt, oder?! Schön, das alles. Und alles nur in deinem Kopf.
Und der kann wirklich Erstaunliches! Denn diese Vorstellungen, die lösen ja direkt auch Gefühle mit aus und auf einmal ist da ein ganzer Kosmos Realität entstanden.
Mit den Fanta4 gesprochen:
Es könnt alles so einfach sein. Isses aber nicht.
Und Bäm: Schlechte Laune.
Ich kann das bei mir gut beobachten, aber noch besser bei meinen Kindern – einfach, weil die nicht ich sind und ich da nicht in dem ganzen emotionalen Wirrwarr drinstecke, der sich dann abspielt. Was nicht heißt, dass deren emotionaler Wirrwarr nicht sehr erfolgreich bei mir selbigen auslösen kann. Aber von vorne:
Ich frage zum Beispiel meinen Mann, ob wir heute Pizza bestellen sollen. Ich versuche es schon möglichst geheim zu halten. Aber das bekommt mindestens eines dieser unglaublich aufmerksamen Kinder mit. Bei manchen Sachen kann ich direkt daneben stehen und werde nicht gehört, aber das mit der Pizza wird mitgeschnitten. Logisch. Ok. Aus meiner Sicht geht das wie folgt weiter:
Mann und ich haben drüber fertig gesprochen und die Quintessenz ist: Nein, wir bestellen heute keine Pizza.
Innerhalb dieser wenigen Sätze hat sich im Kopf des Kindes schon ein lebhaftes Szenario entwickelt. Da ist schon klar, welche Pizza, wo es am Tisch sitzt und wie sie schmeckt, wenn man sie sich genüsslich reinzieht. Und dann kommt ein „ne, doch nicht“ von der Elternschaft. Und das Kind ist meeeeeega enttäuscht. Lautstark.
Es hat sich doch schon so drauf gefreut!
Und jetzt komme ich. Und ich reagiere gleich noch obendrauf. Überrumpelt bis verständnislos. Was muss sich das Kind denn jetzt so aufregen? Hatte ich das wohl anders erwartet. Etwas gelassener zum Beispiel. Etwas verständnisvoller, wenigstens gleichgültiger.
Witzig, dass die die kein Verständnis aufbringt an dieser Stelle die gleiche ist, die Verständnis erwartet. Aber so oder so ähnlich läuft das dann ab bei uns.
Also, was ist da passiert.
Da ist eine Möglichkeit auf einen Wunsch getroffen.
Und der Wunsch im Kind so: „Yeah! Cool! So machen wir das, die Sache ist gebongt. Hm, stell dir das mal vor, wie toll das ist!“ Und der Wunsch in mir ob der bevorstehenden Reaktion des Kindes so: „Easy, egal was wir heute Abend essen, das wird lecker. Wir meißeln hier ja nix in Stein, wir reden ja nur über Möglichkeiten a.k.a. Pizza. Das Kind wird glücklich sein mit allem, was kommt.“
Der Wunsch an sich hat eine sehr ignorante Seite und stürzt sich gerne völlig fixiert auf das, was er will. Wer könnt`s ihm verdenken. Macht ja auch voll gute Gefühle und gute Gefühle haben wir gern. Die sind so freudig flauschig.
So, und dann: Die herbe Enttäuschung.
Dass Möglichkeit auch andere Möglichkeiten beinhaltet, dass Menschen anders handeln und Situationen sich anders entwickeln als das in der superduper Vorstellung so zuckerwattemäßig fein aussieht, das ist doch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit!
Was soll das denn heißen: Ent-täuschung. Ich bin einer Täuschung aufgesessen. Mein Verstand ist schon mal sprintmäßig davon gerannt und hat sich im LaLa-Land vergnügt, weil`s da so schön ist. Und dann ein Rumms und ein Arsch auf dem Boden der Tatsachen.
Was hilft jetzt? Da habe ich gleich noch eine hübsche Erwartungshaltung parat. In meinem Idealfall hocke ich da, greife in meine Hosentasche, ziehe eine handvoll Glitzer raus und werfe die über mich in die Luft, während meine innere Stimme liebevoll tönt:
„Ok, Schwamm drüber. Guck mal, wie das glitzert!“
Fertig.
Im echten Leben außerhalb meiner kleinen, heilen, kreativen Vorstellungswelt braucht es dann doch oft etwas länger und Glitzer in der Hosentasche scheitert meist schon daran, dass die wenigsten meiner Hosen, die ich zu Hause trage, Taschen haben. Außerdem bin ich reaktionsschnell veranlagt. Die Vorstellung mit dem Glitzer wird dann blitzschnell verdrängt von einem beherzten WTF.
Für uns Erwachsene mit ein bisschen Übung und Bewusstheit wird es im glücklichen Fall mit der Zeit möglich, in Situationen von der Sorte gelassen zu bleiben. Aber das ist schon wieder reichlich viel erwartet. Schon wieder so ein Ideal. Die Welt ist voll davon.
Also was bleibt? Wahrnehmen, was ist. Erst mal nix weiter. Das braucht keine Bewertung und keine Lösung. Das ist der Moment, in dem ich mit dem Arsch auf den Boden geknallt bin und überhaupt dran denke, dass ich Glitzer in einer imaginären Hosentasche habe. Und dann muss ich nur noch meine Bockigkeit überwinden, dass das jetzt wirklich nicht so gelaufen ist, wie ich mir das vorgestellt hatte, in selbige imaginäre Hosentasche greifen und den Glitzer über mich und das Kind und überhaupt auf den Boden der Tatsachen werfen.
Auch schon wieder viel erwartet.
Vielleicht reicht erst mal einfach sitzen und atmen. Atmen, bis der Sturm sich legt. Feststellen, dass mich das aufregt. Und dann stelle ich im Glücksfall fest dass es nicht das Kind ist, das mich aufregt, sondern dass ich das Gefühl habe, es mit meiner Entscheidung enttäuscht zu haben. Und ich enttäusche nicht gerne andere Menschen. Schon gar nicht die, die ich so derart liebe, wie meine Kinder. Und dann kann ich noch abgefahren finden, wie krass Phantasie funktioniert und wie real Vorstellungen in gefühlten Millisekunden werden können. Und dass es richtig weh tun kann, wenn reines Synapsenfeuer Seifenblasen platzen lässt.
Crazy. Alles nicht echt.
Und trotzdem prallen da Welten aufeinander. Welten voller Vorstellungen und Befindlichkeiten. Lass das mal sacken. Das reicht für heute schon. Und überhaupt reicht das in den allermeisten Situationen schon. Mal sacken lassen. Damit da sein, was da für ein Synapsenterror los ist. Auch wenn`s scheiße unangenehm sich anfühlt und das sind die Gefühle, die wir nicht gern haben. Vielleicht wollen die auch nur gemocht werden. Und manchmal wollen die sogar ausgelebt werden und manchmal will getobt werden und dann will wieder aufeinander zugegangen und vertragen werden. Mit Glitzer.
Und Liebe ohne Ende,
Deine Barbara